Transport-Start-ups werden in der Krise interessanter

Die Corona-Pandemie hat nicht dazu geführt, dass Investoren weniger Geld in Logistik-Newcomer investieren. Ganz im Gegenteil, so die Quintessenz des Auftaktpanels des Logistics Innovators Day der Kühne Logistics University. Allerdings haben sich die Gewichte verschoben – sektoral und regional.

McKinsey-Experte Ludwig Hausmann präsentierte beim Digital Innovators Day aktuelle Zahlen zum Investitionsgeschehen. Foto: DVZ

Sie sind zwar meist noch klein, nicht etabliert und auf Unterstützung von Partnern und Geldgebern angewiesen - und dennoch gehören Logistik-Start-ups nicht zu den Verlierern der Corona-Pandemie, wie so viele andere kleine Unternehmen. Das wurde gleich zu Beginn des Logistics Innovators Day der Kühne Logistics University (KLU) deutlich. Viele von ihnen sind sogar Krisen-Gewinner.

Laut Ludwig Hausmann, Partner bei der Unternehmensberatung McKinsey, wurde im vergangenen Jahr wieder mehr in solche jungen Unternehmen investiert, nachdem es 2019 einen Rückgang gegeben hatte. In Summe wurden 8,1 Milliarden US-Dollar investiert, nach zuvor 6,5 Milliarden. Zum Vergleich: Im Rekordjahr 2018 waren es McKinsey zufolge 10,4 Milliarden Dollar gewesen. Allerdings haben sich die Gewichte verschoben. Stehen traditionell Start-ups, die den Kep-Bereich und damit die letzte Meile adressieren, bei den Geldgebern ganz oben auf dem Zettel, so haben im vergangenen Jahr vor allem Anbieter das Investoren-Interesse geweckt, die im klassischen Landverkehr zuhause sind. Ein Beispiel dafür ist Sennder, die 2020 allein gut 160 Millionen Dollar frisches Kapital aufgenommen haben.

Hausmann zufolge haben klassische Transport-Start-ups im vergangenen Jahr 47 Prozent aller Investoren-Gelder auf sich vereinigt, während ihr Anteil in den Jahren 2010 bis 2019 nur 30 Prozent betrug. Der Kep-Bereich kam demgegenüber 2020 nur auf einen Anteil von 31 Prozent – 11 Prozentpunkte weniger als im langjährigen Schnitt.

Dass Logistik-Start-ups in Summe eher von der Krise profitiert haben, bestätigt auch Johannes Berg, Geschäftsführer des Digital Hub Logistics. Einige der Newcomer, die der Hub betreut, hätten plötzlich Anfragen von Großunternehmen wie Ikea erhalten. Dabei beziehe sich die Nachfrage nach cleveren, digitalen Transportlösungen mittlerweile nicht mehr nur auf den B2C-Sektor, sondern immer stärker auch auf den B2B-Bereich. Allerdings hätten es einige Start-ups durchaus schwerer gehabt als in den Vorjahren – nämlich all diejenigen, die noch ganz am Anfang ihres Unternehmenslebens stehen. „Start-ups, die ganz neue technologische Lösungen etablieren möchten und dabei auf Pilotprojekte mit Industriepartnern angewiesen sind, hatten es schwer“, so Berg. Denn die Partner hätten wegen der Pandemie-Unsicherheit die Partnerschaften häufig aufgekündigt oder die Projekte zurückgestellt.

Der Start-up-Sektor in der Logistik zeigt sich unter dem Strich hierzulande also vergleichsweise stabil. Verglichen mit anderen Regionen ist das Finanzvolumen, dass für die Newcomer zugänglich ist, aber weiterhin vergleichsweise bescheiden. Darin war sich McKinsey-Experte Hausmann mit seinem Kollegen Steffen Wagner von KPMG einig. Hausmann zufolge gingen im vergangenen Jahr nur 5 Prozent aller Investoren-Gelder nach Europa, während Asien beispielsweise 40 Prozent anlocken konnte. Wagner verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass der Logistikmarkt in Europa allerdings auch vergleichsweise stark reguliert und schon ziemlich gesättigt sei. Hier würden vor allem Investoren aus der Branche dominieren, die ihre eigenen Geschäftsmodelle mit Hilfe der Start-ups transformieren wollten. Die Finanzinvestoren mit den tiefen Taschen würden stattdessen eher auf die noch wenig entwickelten Logistikmärkte in Asien setzen, wo durch neue Technologien ganze Entwicklungssprünge möglich seien.

Afrika & Amerika

Das brasilianische Start-up Modern Logistics hat einen eher ungewöhnlichen Weg für junge Unternehmen hinter sich. Denn im Gegensatz zu den meisten Markteinsteigern hat der Logistikdienstleister einen eher Asset-lastigen Ansatz als Geschäftsmodell gewählt. Dabei wurde in Lagerhallen, Trucks und sogar Frachtflugzeuge investiert. Damit will Modern Straßen- und Luftfracht mit Distributionszentren verbinden. Dabei mussten die Gründer einen langen Atem beweisen. Denn nachdem der Businessplan bereits im Jahr 2011 stand, folgte das erste Investment erst im Jahr 2017. Aber auch für die digitale Infrastruktur wurde Geld in die Hand genommen, um eine cloudbasierte Plattform für Kunden zu schaffen. So können Industrie- und E-Commerce-Unternehmen ihre gesamte Lieferkette und Distribution auch in ländlichen Gebieten von Brasilien verwalten. Die meisten Kunden kommen aus der Automotiv- und Elektronikbranche in Brasilien, wo Modern bislang ausschließlich operiert. Interessanterweise hat die Coronakrise für eine Beschleunigung der Geschäfte bei Modern gesorgt. Aufgrund ausbleibdender Passagierflüge wurden mehr Kapazitäten für Frachttransporte frei, die das Start-up daraufhin preiswerter mieten oder pachten konnte.

Einen völlig anderen Ansatz wählte das nigerianische Start-up Kobo360. Die e-Logistikplattform besitzt keine eigenen Assets, sondern stellt seinen Kunden eine Plattform zur Verfügung und bringt dort Angebot und Nachfrage zusammen. So ähnlich wie Uber - nur eben für Logistikdienstleistungen. Kobo360 bietet der verladenden Industrie zum einen End-to-End-Lösungen mit externen Transportdienstleistern an, ermöglicht es Unternehmen mit eigenem Fuhrpark allerdings auch, diesen über ihre Plattform zu organisieren. Die Plattform bietet den Kunden Real Time Visibilty und nutzt Daten, um die Lieferkette kontinuierlich zu optimieren. An dieser datenbasierten Optimierung arbeitet sogar ein ganzes Team. Zudem ist auch ein Bezahldienst integriert und ermöglicht bargeldlose Zahlungen, die bislang noch kein Standard in der afrikanischen Logistikbranche sind. Weiterhin bietet Kobo360 auch eine eigene Versicherung an, bei der die Ware sowie der Fahrer für den Transport versichert werden können. Kobo360 hat Niederlassungen in sieben Ländern auf dem Kontinent und verbindet auf der Plattform mehr als 50.000 Lkw, die seit 2017 2,9 Milliarden Tonnen Fracht in 19 afrikanischen Ländern geliefert haben.

In Nairobi entwickelte sich das Start-up Little binnen weniger Jahre von einer reinen Vermittlungsplattform für Personenbeförderung zu einer Art Super-App. Heute werden zusätzlich zu dem Uber-ähnlichen Service zig weitere Dienstleistungen angeboten. Dazu zählen beispeislweise auch ein Lieferservice für Restaurantbestellungen sowie Lebensmittel von Supermärkten. Auch Transportdienstleistungen für die letzte Meile finden Nutzer auf der Little-App. Ein Bezahldienst ist ebenso integriert wie unterschieldiche "Wallets" - eine digitale Brieftasche - mit denen die unterschiedlichen Services bezahlt werden können. Die App wird nach eigenen Angaben von mehr als 2,5 Millionen Menschen in vier afrikanischen Ländern genutzt. 50.000 Fahrer haben sich für Transportservices registriert. In den nächsten Jahren soll das Geschäftsmodell in weiteren Ländern auf dem Kontinent skaliert werden.

Indien & Asien

Das indische Start-up Freight Tiger hat sich zum Ziel gemacht, die Prozesse im Landverkehr in Indien zu digitalisieren und dadurch für alle Marktteilnehmer zu optimieren. Dabei handelt es sich um eine 150 Milliarden US-Dollar Industrie, die zum Großteil immer noch offline und manuell abläuft sowie äußerst fragmentiert ist. Rund 80 Prozent der Transportunternehmer in Indien sind kleine- oder mittelständische Unternehmen, die weder digitalisiert oder vernetzt mit ihren Kunden sind. Nach Berechnungen von Freight Tiger kostet diese ineffiziente Vorgehensweise 7 bis 10 Prozent Frachtverlust für den Markt. Das soll die Plattform ändern, in dem alle Teile der Lieferkette miteinander vernetzt werden. Dabei ist das Geschäftsmodell nicht disruptiv – keine Marktteilnehmer werden durch das digitale Angebot verdrängt. Selbst die Makler, die durch den Einsatz der Software so gut wie obsolet werden, werden miteingebunden und sollen dies auch zukünftig. Nach eigenen Angaben soll die Nutzung von Freight Tiger die Logistikkosten für Verlader um 10 bis 12 Prozent senken und den Ebit um 2 bis 3 Prozent erhöhen. Aktuell werden 3 Prozent aller Frachttransporte in Indien über Freight Tiger abgewickelt.

Einen ganz ähnlichen Ansatz verfolgt das indonesische Start-up Waresix. Auch hier handelt es sich um ein Zero-Asset-Geschäftsmodell, das mithilfe einer Software die vorhandenen Unsicherheiten im Frachtverkehr auflösen will. Allerdings unterscheidet sich die Marktbeschaffenheit in Indonesien extrem von anderen, denn die circa 1700 Inseln und 63,8 Prozent Wasseroberfläche machen das Transportwesen durchaus komplex. Die Zahlen belegen das: Die Logistikkosten in Indonesien betragen 24 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Umso wichtiger sei eine vernetzte Kommunikation und Sichtbarkeit, meint Eric Dharma, COO bei Waresix. Durch eine sogenannte Smart-Matching-Software werden Verlader mit Transportunternehmen vernetzt. Darüberhinaus bietet Waresix aber weitere logistische Dienstleistungen an wie ein Transport Management System, Applikationen für Smartphones sowie ein Warehouse Management System. Für einige Industrieunternehmen habe das Start-up sogar bereits die komplette Logistik übernommen. Grundsätzlich sei die Akzeptanz und Notwendigkeit von digitalisierten Prozessen durch die Coronakrise erheblich gewachsen. Inzwischen kommen interessierte Unternehmen auf Waresix zu und nicht mehr umgekehrt.

Was Freight Tiger und Waresix auf Landesebene umsetzen, bietet das Start-up Freightos mit Sitz in Hong Kong in vergleichbarer Form für den internationalen Frachtverkehr an. Die Entstehung des digitalen Unternehmens im Jahr 2012 geht auf die Erkenntnis des Gründers zurück, dass Freight Forwarder oftmals zwar die internen Strukturen digitalisiert haben, aber nicht global mit anderen Marktteilnehmern vernetzt sind. So sorgen die zeitlichen Intervalle bis Angebote abgegeben oder angenommen werden sowie die extremen Preisschwankungen am Markt für Verzögerungen und vermeintliche unnötigen Kosten. Vor allem die vielen nicht sichtbaren Zwischentransporte im Binnenland würden dabei für eine große Fehleranfälligkeit sorgen. Hinzu kommt eine grundsätzliche Unübersichtlichkeit des Marktes. Freightos soll eine Art Rückgrat für den internationalen Warenverkehr sein, wie Eytan Buchman, CMO bei Freightos, sagt. Auf der Plattform können Frachtraten und verfügbare Kapazitäten in Echtzeit beobachtet und direkt Buchungen von Carriern vorgenommen werden. Aktuell fokussiert sich das Serviceangebot stark auf Luftfracht, aber auch die Seefracht-Sparte wachse immer stärker durch mehr Ocean Liners, die ihre Dienstleistungen über Freightos anbieten.

Etablierte Start-ups in Europa

Für Flexport war das Coronajahr 2020 das mit Abstand beste Jahr bisher: „Wir haben einen Anstieg von 55 Prozent der Kunden, die unsere Plattform nutzten, verzeichnet“, sagt Janis Bargsten, General Manager bei Flexport Deutschland. Das Berliner Start-up habe 2020 Waren im Wert von 5 Milliarden Euro transportiert, darunter hätten sich 24.000 t Hilfsgüter befunden. „Wenn es Chaos im Markt gibt, können wir für Stabilität sorgen“, fasst er den Erfolg zusammen. Die digitale Spedition deckt See-, Luftfracht, Schiene und LKW-Transporte in derzeit in mehr als 160 Länder ab und rechnet über 10.000 Kunden. Über ihre Cloud-Plattform des Unternehmens wird die gesamte Lieferkette in Echtzeit abgebildet und soll Transparenz, Kontrolle und mehr Nachhaltigkeit schaffen.

Auch Forto zählt bereits zu den etablierten Start-ups in Europa. „Covid-19 hat die Rolle eines Chief Digital Officers“, fasst Michael Wax, Mitgründer von Forto (ehemals Freighthub), den Einfluss der Pandemie zusammen. Sie hätte dem Start-up verganges Jahr geholfen zu wachsen. 2021 würde Wax sein Unternehmen gerne um die 200 bis 250 Neueinstellungen erweitern. Das Berliner Speditionsunternehmen beschäftigt derzeit 450 Menschen an 10 Standorten und hat über 2.500 Kunden in seinem Netzwerk.  

Im Oktober 2020 hat die digitale Spedition Instafreight ihr Portfolio erweitert. Das auf den Straßengüterverkehr spezialisierte Start-up bietet nun Verladern an, das gesamte Transportaufkommen auf der Straße digital zu managen. Damit könnten Verlader ihr eigenes Transportmanagement outsourcen. Nach dem Coronaauftrieb bringt es rund 10.000 Transporte im Monat auf die Straße, beschäftigt derzeit 170 Leute und zählen über 2.000 Kunden. Die Zukunft sieht Instafreight in der Verschiebung von Kapazitäten auf intermodale Dienste und die Nutzung von LNG.

Der Onlinesupermarkt Picnic ist erst 2018 in den deutschen Markt eingetreten. Heute ist der niederländische Online-Lieferdienst laut  Arthur Reijnhart, Recruitment and Growth Picnic Germany, in mit einer 12.000 Fahrzeug starken E-Flotte und mehr als 8.000 Beschäftigten in 125 Städten vertreten. Monatlich kämen aktuell ungefähr 1.000 Neuanstellungen hinzu. Picnic deckt vor allem den Nordwesten Deutschlands ab und zählt 300.000 Menschen auf der Warteliste, die sich über das Angebot des Start-ups in ihrer Nähe freuen würden. Derzeit plane Picnic zusammen mit Edeka, einem seiner Hauptlieferanten, ein 100.000 Quadratkilometer großes, automatisiertes Fulfillment-Center in Europa.(sr/tb/ds)

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