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Auswirkungen des Brexit Leere Lkw und Verkehrsverlagerung

Foto: Matthias Rathmann, Montage: Oswin Zebrowski

Was sind die Auswirkungen des Brexit auf die Logistikwirtschaft? Eine Online-Konferenz der Logistics Alliance Germany ließ Praktiker und Logistikexperten zu Wort kommen.

Wie läuft der Brexit, welche Stellschrauben müssen in der Logistik justiert werden? Eigentlich hatte der Förderverein Logistics Alliance Germany (LAG) für diesen Erfahrungsaustausch eine Delegationsreise nach Großbritannien und Irland geplant, die allerdings aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt wurde. Beides – Brexit und Corona – sind nach Angaben von Holger Dechant, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands Förderverein Logistics Alliance Germany und Geschäftsführer von Universal Transport, seit Monaten die entscheidenden Themen der Logistikwirtschaft.

Handels- und Kooperationsabkommen muss noch bestätigt werden

Die Bundesregierung hat laut Steffen Bilger, parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), daher starkes Interesse daran, bestehende Probleme schnell zu klären, damit der Warenverkehr zwischen Deutschland und Großbritannien weiter intensiv betrieben werden kann. Dazu gehöre auch, dass das am 24. Dezember abgeschlossene Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Großbritannien, das seit 1. Januar vorläufig in Kraft ist, durch den EU-Rat und das EU-Parlament bestätigt wird, was laut Bilger Ende Februar oder Anfang März geschehen soll. Dazu gehöre aber auch, dass Unternehmen von ihren Erfahrungen berichten, die er als Koordinator der Bundesregierung für Güterverkehr und Logistik dann gerne weitertrage.

Unkenntnis über Zollförmlichkeiten

Erfahrungen wurden bei der Onlinekonferenz ausreichend gehandelt. Laut Niels Beuck, Geschäftsführer und Leiter Europäische Angelegenheiten beim Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV), bestehe die größte Herausforderung in dem Thema Drittlandhandel, mit dem sich viele Unternehmen auf beiden Seiten seit dem Brexit zum ersten Mal befassen müssen. Dies bedeute entsprechende Änderungen etwa in Bezug auf Zollförmlichkeiten und Ursprungsregeln. Die Folge seien viele Sendungen mit fehlenden Zolldokumente, so dass beispielsweise manche britische Häfen inzwischen einen Annahmestopp für Waren verhängt hätten.

Britische Seite schlecht vorbereitet

Die britische Perspektive erläuterte Alan McKinnon, Professor an der Kühne Logistics University in Hamburg. Viele Unternehmen auf der Insel, aber auch die britische Regierung seien schlecht auf den Brexit vorbereitet gewesen – im Vorfeld des Brexits war demnach ein Bedarf an 50.000 Zollagenten diskutiert worden, jedoch sei nur ein Viertel der Stellen besetzt worden, sagte McKinnon. Dass das Chaos sich bislang noch im Rahmen halte, liege zum einen an dem durch Corona eingeschränkten Handel, einer vermehrten Lagerhaltung zum Jahresende 2020 und auch daran, dass viele Unternehmen aufgrund der Brexit-Problematik ihr Geschäfte mit der anderen Seite eingeschränkt hätten - womöglich sogar dauerhaft, was zu einem Rückgang des Handelsvolumens führen könnte.

BGL: Hohe Parkgebühren durch lange Wartezeiten

Laut Prof. Dr. Dirk Engelhardt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), entstehen die meisten Probleme beim Import aus Großbritannien nach Europa – teilweise müssten die Lkw-Fahrer bis zur drei Tage warten, bis die Zollformalitäten erledigt seien, was zu horrenden Parkgebühren für die Transportunternehmen führe. Die Folge: Deutsche Lkw, die auf die Insel fahren, fahren lieber leer zurück, als eine Rückladung in Großbritannien aufzunehmen, zudem gebe es einen zunehmenden Grau-Bereich bei der Rücksendung von Packmitteln – beides wegen der anhaltenden Probleme bei der Verzollung. Die Folge sei eine wachsende Unzufriedenheit bei den Unternehmen.

Foto: Screenshot: Ilona Jüngst
Videokonferenz der Logistics Alliance Germany zu den Auswirkungen des Brexit.

Intensivere Kundenberatung notwendig

Auch Torsten Boehler vom gleichnamigen Logistikunternehmen aus Walldorf berichtete von einem Kostenanstieg – weil britische Kunden inzwischen viel intensiver beraten werden müssten, um sicherzustellen, dass die entsprechenden Dokumente auch richtig ausgefüllt seien. Teilweise mehrere Stunden pro Kunde koste das die Mitarbeiter.

Deutliche Unpaarigkeit der Verkehre

Und Claus Schmitz, Deutschlandmanager des britischen Logistikers Exact Logistics, hat vor allem damit zu kämpfen, dass jegliche Planbarkeit fehle – und dass im taktgenauen Systemverkehr. Wenn bei den südgehenden Sammelgutverkehren aus England bei einer Palette die Zollpapiere nicht stimmen, bleibe der ganze Lkw stehen. Bei besonders wichtigen Sendungen bleibe da nichts anderes übrig, als diese mit hohen Kosten auszuschleusen und mit dem Sprinter zu fahren. Schwierig ist laut Schmitz inzwischen auch der Kapazitätszukauf, der mit deutlich höheren Sendungskosten verbunden sei. Denn viele Fahrer würden sich inzwischen aus Furcht vor einem Zwangsstopp weigern, zusätzliche Frachten etwa über den Spotmarkt anzunehmen. Diese führe zu einer deutlichen Unpaarigkeit der Verkehre zwischen Großbritannien und Europa.

Längerfristiges Problem

Kurzfristige Zahnungsschmerzen oder tiefergehende Strukturprobleme? Entwarnung konnte jedenfalls keiner der Referenten geben. Laut Niels Beuck bleibt etwa auch die Corona-Pandemie ein Treiber des Kommunikationsproblems: Durch Homeoffice, Krankheit oder Quarantäne würden nicht nur bei Speditionen und Zollagenturen Personal fehlen, auch bei den Behörden mangele es an Ansprechpartnern.

Neue Chancen für Logistikunternehmen

Dass weiterhin ein deutlicher Aufklärungsbedarf auf Seiten der Kunden – vor allem der britischen – besteht, wurde von allen Beteiligten bestätigt. Dass sich aber auch Chancen auftun, ebenso: Alle Diskussionspartner gehen etwa davon aus, dass sich die Zahl der unbegleiteten Verkehre durch die jetzigen Verzögerungen in den Häfen deutlich erhöhen wird.

Die Logistik wird sich auch neue Wege suchen – wenn die Kanalverbindung Calais-Dover dauerhaft ein Nadelöhr wird, suche sich die Fracht eben neue Routen, beispielsweise über die Nordsee. Prof. McKinonn brachte auch gestiegene Frachtraten ins Spiel, damit die britische Wirtschaft weiter arbeiten könne.

Und auch die Verbände bleiben nicht untätig, wenn es etwa um Schulungen und Seminare oder die Vermittlung kompetenter Partner auf beiden Seiten geht, was sich etwa die LAG auf die Fahnen schreibe, sagte auch Marc Oedekoven, Vorsitzender des Vorstands Förderverein Logistics Alliance Germany und Vorsitzender der Geschäftsführung IQS Holding. Die Delegationsreise, die wolle die Logistics Alliance Germany nachholen – denn Gesprächsbedarf bestehe offensichtlich auch weiterhin.

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