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Toxisches Führungsverhalten kam bereits 2017 in 85 Prozent der Unternehmen im deutschsprachigen Raum vor.

Jetzt zeigt eine Studie: Behandeln Führungskräfte ihre Angestellten schlecht, reagieren diese mit Schuldgefühlen — und steigern sogar ihre Leistung.

Angestellte sollten daher Grenzen festlegen, die Führungskräfte nicht überschreiten dürfen, und im Zweifel den Dialog suchen. Sonst droht ein Teufelskreis.

Stell dir einmal folgende Jobsituation vor: Deine Führungskraft ignoriert deine Emails, macht subtile Witze auf deine Kosten oder wird im Gespräch mit dir laut. Wärst du jetzt noch bereit, ihr bei einer Präsentation zu helfen? Wenn du das entrüstet verneinst, ist das nur Theorie: Viele Menschen würden ihrem Chef oder ihrer Chefin selbstverständlich helfen. Auch dann.

Es muss häufig vorkommen: Toxisches Führungsverhalten gab es 2017 in 85 Prozent der Unternehmen im deutschsprachigen Raum. Jedes fünfte Unternehmen hatte sogar ein ausgesprochen giftiges Führungsklima, ergab eine Studie mehrerer deutscher Universitäten anhand von Daten der Arbeitgeber-Bewertungsplattform Kununu 2020. Was aber, wenn das Chef-Verhalten gar nicht gleich als toxisch auffällt? Wenn wir die Beziehung sogar als gut beschreiben würden?

Mobbing: Das Problem des Schuldgefühls

Dann machen verbale oder emotionale Ausfälle mit dem Einzelnen etwas anderes: Sie erzeugen Schuldgefühle. Das zeigt jetzt eine Leadership-Studie zweier Hamburger Forscher der Kühne Logistics University. Angestellte reagieren auf diese Schuldgefühle nach emotionalem oder verbalem Missbrauch durch Vorgesetzte oft mit Leistungssteigerung.

Das wiesen Christian Tröster und Niels Van Quaquebeke, Professoren für Führung und Verhalten in Organisationen, in einer Studie nach. Mobbing führt Vorgesetzte also paradoxerweise zum Ziel: guten Leistungen im Team. „Das gilt gerade dann, wenn Mitarbeiter die Beziehung zu ihrer Führungskraft als gut bewerten“, sagt Christian Tröster.

Christian Tröster, Wissenschaftler an der Kühne Logistics University.
Christian Tröster, Wissenschaftler an der Kühne Logistics University.
KLU, Christin Schwarzer

Die toxische Beziehung: ein schleichender Prozess

Die Gefahr komme schleichend, so die Forscher. Führungskräften sei ihr missbräuchliches Verhalten oft nicht bewusst. „Vieles passiert unabsichtlich“, sagt Christian Tröster. Das müsse nicht gleich eskalieren. Führungskräfte seien zunächst einmal bemüht, das Beste zu wollen. Wer mit der Führungskraft grundsätzlich gut zurechtkommt, sucht die Schuld für schlechtes oder ausfälliges Verhalten auf Chefseite häufig bei sich, statt die Situation aktiv anzusprechen.

„Schuld ist ein funktionales Gefühl“, sagt Van Quaquebeke. „Fühle ich mich für etwas schuldig, so das Denken, kann ich es auch reparieren — und handeln. Aktiv etwas zu tun, bedeutet Energie.“ Es gebe Analogien zum Verhalten von Opfern häuslicher Gewalt: Auch da neigten manche Opfer dazu, sich schuldig zu fühlen, so Van Quaquebeke. „Sie versuchen auf Gewalt mit noch besserem Verhalten zu reagieren.“ Dabei bemerkten sie nicht, dass der Fehler nicht bei ihnen liege.

Chef-Verhalten: Ausgleich durch Leistung? Besser durch ein Gespräch

Führungskräfte nehmen oft wahr: Ich arbeite gut, effektiv und mein Team mag mich. So entsteht ein gefährlicher Kreislauf. Schlechtes Verhalten reißt ein. Es gibt Vorzeichen, die als Warnsignale verstanden werden können. Sie müssen im Arbeitskontext aber wahrgenommen werden.

Sobald das Verhalten eines Vorgesetzten in zweifelhafter Weise ausarte, sei das ein Warnsignal, sagen Christian Tröster und Niels Van Quaquebeke. Manchmal seien die Grenzen zwischen harmlosem und toxischem Miteinander fließend.

Was können Angestellte tun, was Unternehmen? Zunächst sollten sie das direkte Gespräch mit der Führungskraft suchen. „Es kann heilende Kraft haben“, sagt Christian Tröster. „Sie können aus einer solchen Situation nicht raus, ohne sich zu unterhalten“, bestätigt Van Quaquebeke. Damit sich Angestellte nicht in eine Spirale aus Mobbing und Schuldgefühlen ziehen lassen, sollten sie Grenzen definieren, erkennen und den Dialog einfordern, raten die Forscher.

Das kennt Van Quaquebeke aus eigener Erfahrung. Er berichtet von einem Ex-Chef aus einem früheren Arbeitsverhältnis, den er zuvor privat kannte. Privat frotzelten beide viel miteinander im Spaß. Als sie aber plötzlich in einem Team zusammenarbeiteten, wirkten die Frotzeleien unpassend.

„Es war plötzlich merkwürdig, dass er so mit mir sprach, etwa in Besprechungen, auch weil ich nicht wusste, wie ich in dem Kontext reagieren sollte oder konnte“, sagt der Forscher. „Entsprechend versuchte ich, es nach dem Schema ‚Wahrnehmung, Wirkung, Wunsch‘ anzusprechen. ‚Mir ist aufgefallen, dass wir unsere spaßigen privaten Frotzeleien in die Arbeit getragen haben‘, sagte ich zu ihm. ‚Dabei kommt es aufgrund der Machtasymmetrie nun zu einer für mich komischen Dynamik — ich kann nicht richtig antworten und weiß nicht, was es mit dem Teamklima macht. Darum wünsche ich mir, dass wir das auf der Arbeit unterlassen.‘ Der Mann hörte verblüfft zu und sagte: ‚Du hast Recht.’ Und ab das war es kein Thema mehr.“

Niels Van Quaquebeke, Wissenschaftler an der Kühne Logistics University.
Niels Van Quaquebeke, Wissenschaftler an der Kühne Logistics University.
KLU, Christin Schwarzer

Beförderungen? „Nur bei Respekt im Miteinander“

Angestellte müssten für sich eine Grenze definieren, die eine Führungskraft nicht überschreiten dürfe, rät Tröster. „Wird diese Grenze doch überschritten, sollten Mitarbeiter gleich mit dem oder der Vorgesetzten darüber sprechen. Denn der hat sehr oft gar keine Antenne dafür.“ Wichtig könnte auch der Austausch mit Kollegen sein.

Im Idealfall komme eine Führungskraft auf der Karriereleiter nur weiter, wenn Respekt im Miteinander herrsche, so Van Quaquebeke. „Unternehmen sollten Führungskräfte nicht allein auf Basis der Leistung der geführten Teams beurteilen, sondern Mitarbeitende auch den Führungsstil ihrer Vorgesetzten direkt bewerten lassen.“ Auch anonyme Umfragen im Unternehmen könnten ein Instrument sein, um herauszufinden, ob derartige Probleme bestehen und wie die Stimmung sei.

Problemfall Mobbing: Fehlzeiten, Gesundheitsprobleme, Rechtsprobleme

Fallen die Schwierigkeiten unter den Tisch, können die Konsequenzen erheblich sein: Angestellte entwickeln häufig psychische Probleme mit Auswirkungen am Arbeitsplatz, zu Hause und im sozialen Umfeld. Auf Unternehmen kommen dann Fehlzeiten und möglicherweise auch kostspielige rechtliche Konsequenzen zu. Umso wichtiger ist die eigene Sensibilität für das, was im Arbeitsumfeld geschieht.

Für ihre Studie erhoben Tröster und Van Quaquebeke im Rahmen eines Online-Experiments die Daten von 200 Teilnehmenden. Außerdem werteten sie eine Tagebuchstudie mit 275 Personen aus, die an zehn Arbeitstagen zweimal täglich einen Eintrag zu ihrem Arbeitsleben verfassten. Die staatlich anerkannte Kühne Logistics University — Wissenschaftliche Hochschule für Logistik und Unternehmensführung (KLU) ist eine private Hochschule in Hamburg.

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